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Transcription:

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien Zur Menschwerdung des Dichters Adrian Hsia (Univ. Montreal) Die deutsche Aufklärung erreichte meines Erachtens ihren Höhepunkt, als Lessings Nathan der Weise sich die Gewissensfrage stellt, ob er zuvorderst Mensch oder Jude sei. Denn in diesem Moment besteht die Menschheit nicht mehr ausschließlich aus Juden, oder Christen, oder Muselman, sondern aus Jedermann. Es war das erste positive Beispiel der Globalisierung des Menschheitsbegriffs. Dennoch ist es ein wenig bedauerlich, dass alle drei Volks- bzw. Religionsangehörigen einer theistischen Konfession, deren Wurzeln in der Bibel zu finden sind, zugehören. Einen größeren Grad der bewussten Inklusivität finden wir bei Hermann Hesse. Denn die Dichtung des reiferen Hesse ist, in verschiedenen Graden und Variationen, erfüllt von der Idee der Menschlichkeit. Besonders in den Romanen Siddhartha (1922) und Das Glasperlenspiel (1943) kommt dieser Gedanke auf unterschiedlichste Weise zur Blüte. Diesmal wird die Einheit der Menschheit in der Vereinigung von theistischen (sprich westlichen) und nicht-theistischen (d. h. östlichen) Kulturen ausgedrückt. Die letzteren sind vertreten durch Indien und China. Viele Arbeiten sind über die Beziehungen Hesses zum östlichen Geist geschrieben worden - vorwiegend über den indischen Hintergrund des Elternhauses, die indische und chinesische Lektüre, die beiden oben erwähnten Romane usw., um nur die markantesten Themen zu erwähnen. Dagegen gibt

232 Adrian Hsia es kaum Analyse über Hesses erste und einzige Begegnung mit der asiatischen Menschheit. Nun nehme ich die Veröffentlichung des neuen Bandes Blick nach dem Fernen Osten 1) mit einem ausführlichen Nachwort von Volker Michels zum Anlass, diesen wichtigen Einschnitt in Hesses Leben und Entwicklung einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Noch heute ist der Bereich nicht unproblematisch, was bereits der Titel des neuen Bandes erhellt. Denn der Ferne Osten ist normalerweise die Bezeichnung für Ostasien, die Hälfte der Texte aber handeln von Indien bzw. Südostasien. In der Nomenklatur gibt es kein Wort, das Süd- und Ostasien auf einen Nenner bringt. Dieses Phänomen zeigt die dividierende, aber auch verwirrende Tendenz unserer Denkweise, was geeignet ist, Verständnis und Kommunikation zu erschweren. Ähnliches ist ebenfalls Hesse geschehen, als sein Büchlein Aus Indien 1913 herauskam, das seine Begegnung mit asiatischen Menschen dokumentiert. Anscheinend haben sich seine Zeitgenossen nicht über diesen Titel gewundert. Die späteren Leser haben das Problem den Buchtitel zu erklären, da Hesse den Subkontinent überhaupt nicht betreten hat. Man behalf sich mit dem Ausdruck Hinterindien. Ich war keine Ausnahme. Sicherlich hat diese Erklärung ihre Richtigkeit. Aber Hesse erwähnt diesen Begriff nur ein einziges Mal. Für ihn war er in Indien und er berichtet in seinem Büchlein über seine dortigen Erlebnisse. Das fernste Reiseziel Hesses war von vornherein Sumatra, wo er auch tatsächlich hinkam. Seine Reiseroute richtete sich nach der Schifflinie des Norddeutschen Lloyd, und er fuhr bis Singapur, weil Sumatra direkt gegenüber liegt. Auf der Rückreise wollte er Ceylon besuchen, weil Colombo auf der Reiseroute lag, nur bei günstigen Umständen würde er etwa auch noch ein Stückchen von Vorderindien besuchen, wie er im Sommer 1911 an Conrad Haußmann schrieb. Wir wissen, dass die Umstände alles andere als 1) Hermann Hesse, Blick nach dem Fernen Osten, Frankfurt: Suhrkamp, 2002.

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien 233 günstig waren. Im selben Brief erwähnte er auch Kuala Lumpur, eine Chinesenstadt von 160 Einwohnern. Aber die Stadt an sich interessierte ihn wenig, denn er wollte nur den Urwald in der Nähe besuchen. Dies alles erhellt, dass Hesse keine Kulturreise plante, sondern primär Urwalderlebnis suchte, das heißt das andere Extrem seines Lebens im Schwabenland und des kulturellen Unbehagens in Europa überhaupt. Er fühlte sich durchaus als Sumatrareisender, wie er in einem Brief an seine Familie vom 15. 08. 1911 schrieb. Sumatra befindet sich im heutigen Indonesien. Damals war es als holländisch-indien bekannt; konsequent benutzte Hesse selbst diese Bezeichnung in seinen Reiseberichten. Daher ist der Buchtitel Aus Indien vollkommen zutreffend. Gemeint war nicht nur das Verwaltungsgebiet des britisch-indien, sondern auch des holländisch-indien. Hesses Reiseziel war also Sumatra, holländisch-indien. Es war weder China, noch Indien, die beiden Kulturen, mit denen er sich später im Leben so viel beschäftigte. Er hätte leicht seine Reise nach Hong Kong, einer britischen Kronkolonie, und von dort aus nach Shanghai, wo die britische Präsenz ebenfalls sehr stark war, oder sogar nach Tsingtau fahren können, wenn er die chinesische Kultur hätte kennen lernen wollen. Ein Besuch von Vorderindien hätte er ebenfalls nicht von günstigen Umständen abhängig gemacht, wenn er wirklich die indische Kultur hätte erleben wollen. Nein, ihn interessierte der Urwald, die Urnatur. Der zivilisierteste Akt, der ihm dort einfiel, war Schmetterlinge zu fangen. Die Reiseroute bis Sumatra war äußerst vielsagend. Denn nach dem Mittelmeer bis Singapur legte der Dampfer Prinz Eitel Friedrich ausschließlich in britischen Häfen an. Nur Sumatra war holländisch. Das heißt, obgleich Hesse Europa verlassen hatte, war er dennoch überall auf europäischen Hoheitsgebieten. In anderen Worten, er fuhr als Europäer zu den Kolonien. Damit gehörte er automatisch und objektiv zu den Kolonialherren. Als solcher wurde er sowohl von anderen

234 Adrian Hsia Europäern als auch von den Einheimischen angesehen. Die Begleiterscheinung war, dass er ebenfalls eine ähnliche Perspektive annahm bzw. annehmen musste. Aus diesem Grund weist Ralph Freedman in seiner Hesse-Biographie hin, dass Hesse den Indern und Ihrer Gesellschaft zunächst mit den typischen Vorurteilen des Europäers 2) begegnete. Freedman meinte natürlich nicht den heutigen, sondern den Europäer zu Hochkolonialzeiten. Wenn Hesse schon gegen Inder voreingenommen war, hielt er die einheimischen Völker Malayas und Sumatras natürlich noch niedriger. Nur von den Chinesen war er beeindruckt, wie wir wissen. Diese Tatsache wollen wir einer näheren Untersuchung unterziehen. Niemand ist mit einer Meinung oder gar Weltanschauung geboren. Diese erwächst aus verschiedenen Quellen: die Tradition und die unmittelbare Umwelt wie das Elternhaus, die Schule und die öffentliche Meinung spielen eine prägende Rolle. Bei starken Individuen wird sie noch durch das eigene Erlebnis mit bestimmt. Zu dieser Kategorie gehörte zweifelsohne Hesse. Er war ein vielleicht überdurchschnittlicher Reisender, aber dennoch ein Tourist. Keiner kann über der Zeit stehen, noch nicht einmal ihre Kritiker. Eine der Zeit entgegengesetzte Überzeugung musste durch harte Arbeit und tiefes Erleben erst entstehen. Zur Zeit seiner Indienreise hatte Hesse noch wenig Vorbildung über Asien. Was ihm sein Elternhaus über Indien und seine Kultur mitgeben konnten, war vielleicht überdurchschnittlich, dennoch nicht viel. Es ging eher um indische Souvenirgegenstände als ein echtes Verständnis, zumal der Pietismus nicht unbedingt heidenfreundlich ist. Das frühste Schriftstück Hesses über etwas Indisches, und zwar über Bhagavadgita, wurde erst 1912 publiziert, geschrieben wurde es nach der Indienreise. Direktes Wissen über Indien scheint Hesse zuerst von Schopenhauer bezogen zu haben. Hesse berichtet in Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China, dass er etwa mit 27 Jahren (d. h. 2) Ralph Freedman, Hermann Hesse. Biographie. Frankfurt: Suhrkamp, 1999, S. 196.

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien 235 1904) anfing, sich mit dem Philosophen zu beschäftigen. Übrigens ist Schopenhauer der erste deutsche Philosoph, der sich sowohl dem indischen als auch dem chinesischen Geist öffnete. 3) Volker Michels berichtet, dass Hesse 1907, angeregt durch Schopenhauer, begann, mit Yoga, Askese und Selbstkasteiung zu experimentieren. 4) Ein Schlüsselwort von Schopenhauers Philosophie ist der Sanskritbegriff tat twam asi (das bist du), den Hesse Jahre später mit seinen Worten so erklärt: im Sinn der ganzen vorbuddhistischen Philosophie, ist mein Nächster nicht nur ein Mensch wie ich sondern er ist Ich. 5) Dieses Bewusstsein brachte Hesse wahrscheinlich mit auf seiner Indienreise, das gegen die Kolonialanschauung wirkte. Daher merkt der Leser, dass Hesse in seiner Reiseaufzeichnung trotz offensichtlicher Abneigung immer wieder den Versuch macht, Positives über die Völker Asiens zu sagen. Von der Reise gewann Hesse nur von den Chinesen einen unumstrittenen positiven Eindruck, und zwar meines Erachtens aus zwei Gründen. Der erste und offensichtliche Grund ist, dass Hesse vor dem Anbruch seiner Reise bereits Gespräche von Konfuzius, Tao-te-king von Lao Dsi und Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse gelesen hat. Die ersten beiden Bücher wurden von Richard Wilhelm verdeutscht, das letzte von Martin Buber, ein Bewunderer des Tao. Wenn Schopenhauer die hinduistische Lehre des tat twam asi propagierte, forderte Buber die Mitmenschen auf (gemeint sind Deutsche und Christen), die Andersartigen vorurteilslos kennen zu lernen. Bubers und Schopenhauers Auf- und Mahnruf bildet die beiden Seiten desselben Medaillons: man solle den Nichtchristen als seinesgleichen kennen und erkennen. Dies hat Hesse bei den Chinesen zur Zeit der Indienreise vollzogen. Daher war er bereit, diese als gleichwertige Mitbewerber und 3) Diesbezüglich habe ich im Juli 2002, in meinem Referat über Hesse, Schopenhauer und die Öffnung des deutschen Geistes beim Internationalen Hesse Symposium in Calw ausführlich gesprochen. Die Beiträge werden veröffentlicht. 4) Blick nach dem Fernen Osten, S. 458. 5) Zitiert nach Volker Michels: Blick nach dem Fernen Osten, S. 474.

236 Adrian Hsia gar Rivalen anzuerkennen. Bei den anderen asiatischen Völkern war es anderes. Diese sah er noch mit den Augen des - zugegeben wohlmeinenden - Kolonisators. Seinen sinnlichen Eindrücken scheint die koloniale Perspektive zu entsprechen. Die Europäer trugen Tropenanzüge, die Kleidung der Chinesen, wie Hesse berichtet, war meistens weiß, schwarz oder blau, während die anderen bunt trugen. Die Architektur scheint ebenfalls die Kindlichkeit und negative Naturnähe dieser Völker zu bestätigen. Die Häuser der Chinesen und ihre Lebensgewohnheiten scheinen ordentlicher als die übrigen Einheimischen. Hesse lebte nicht außerhalb seiner Umwelt und seiner Zeit. Wir müssen seine Haltung im Zusammenhang des Kolonialismus, in dem ganz Europa involviert war, sehen. Denn eine christlich-fundierte, eurozentrische und Hauptfarbe-valorisierende Rassentheorie wurde seit dem Zeitalter der Entdeckungen, das auch den Anfang der modernen Kolonialisierung darstellt, langsam gebildet, die im späten 19. Jahrhundert den Höhepunkt erreichte. Beispielsweise galten im 17. Jahrhundert die Chinesen bei den Jesuiten allgemein als weiß, wahrscheinlich weil das Zentrum der China Mission in Peking, also im Norden Chinas, basiert war. Immanuel Kant beschrieb dieselben Chinesen als eine Mischrasse zwischen den weißen Tataren und den gelben Hindus, also leicht gelblich. Lichtenberg gab die Hauptfarbe Ende des 18. Jahrhunderts noch als die des Meerschaums an. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden dieselben Chinesen schon als gelb beschrieben, in der zweiten Hälfte verglich Joseph Arthur de Gobineau (1816-1882), ein in der Nazi-Ideologie zu Ehren gekommener französischer Rassentheoretiker, die Hauptfarbe der Chinesen mit der ausgetrockneten Orangenhaut. 6) Es ist nicht bekannt, dass Hesse jemals die Chinesen als minderwertig ansah, doch in seinen Augen waren die anderen Asiaten, einschließlich die Inder, durchaus Naturvölker. In diesem Zwischenstadium der Erkenntnis stand Hesse um die Zeit seiner Indienreise. Die 6) Gobineau ist durch seinen Essai sur l inegalité des races humaine (1853-55) bekannt geworden. Die deutsche Übersetzung kam 1898-1901 als Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen heraus.

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien 237 Entwicklung seiner Menschwerdung hing auch damit zusammen, wen er als vollwertige Menschen anerkennt. Diese Menschwerdung erreichte einen vorläufigen Höhepunkt in seinem Roman Siddhartha. Einer indischen Dichtung (1922). Hesse war durchaus ein aufmerksamer Reisender. In den Malay States hat er ziemlich schnell die koloniale Hierarchie ausgemacht. Ganz unten waren die Malayen, über Ihnen standen die Javaner. Diese beiden Gruppen sprachen Malaiisch. Danach kamen die eingewanderten Ostasiaten (hauptsächlich Chinesen, dann Japaner) und Südasiaten aller Provenienz, die Hesse als Inder zusammenfasst. Ganz oben waren die Kolonialherren, zu ihnen gehören alle Westländer. Als Tourist hat Hesse nicht viel von der britischen Kolonialverwaltung mitbekommen, er ist lediglich in Hotels abgestiegen und hat sich die Städte entweder zu Fuß oder in einer Rikscha angesehen. Von der englischen Musik und vom englisch-indischen Essen war er nicht begeistert, dafür beneidete er das Essen chinesischer Kulis. Doch den Engländern an sich zollte er durchaus Respekt. Wörtlich schreibt er: Die Engländer, die in ihrem Nationalitätsgefühl und in ihrer strengen Pflege der eigenen Rasse eine Art von Ersatzreligion besitzen, sind denn auch die einzigen Westländer, die es da draußen zu einer wirklichen Macht und Kulturbedeutung gebracht haben. 7) Im Bericht Augenlust beschreibt Hesse seine Eindrücke von den asiatischen Völkern genauer. Vom Genius einer Zauberflasche bekommt er drei Wünsche erfüllt. Er will Gesundheit, eine schöne junge Geliebte unbestimmter Nationalität und 10,000 Dollar. Mit der Geliebten und dem Geld geht er auf einen fantasierten Einkaufsbummel. Auch hier werden die 7) Rückreise, in Aus Indien, S. 118.

238 Adrian Hsia Chinesen am besten beschrieben, und zwar zuerst in der Beschreibung eines elfjährigen Chinesenmädchens, die vor dem Hotel Spielsachen verkauft. Es wird berichtet, dass sie schon mit 7 Jahren den Handel betreibt. Hesse stellt sich ihre Zukunft so vor: Später wird sie mit Gegenständen handeln, die wohlhabende junge Herren brauchen, dann wird sie heiraten und ihr Geschäft in Porzellan, Bronzen und Altertümern machen, and schließlich wird sie nur noch spekulieren und Geld verleihen und die Hälfte ihres Vermögens in ein wahnsinnig luxuriöses Privathaus verbauen wo der religiöse Hausaltar von Gold funkeln wird. 8) Mit der Rikscha würde Hesse mit seiner imaginierten Geliebten dann bei einem indischen Juwelier vorfahren. Obwohl die Inder jetzt nach englischen und französischen Dessins arbeiten, ist ihre Arbeit dennoch noch edel und zart. Er preist auch ihre unermessene Geduld und Höflichkeit. In einem japanischen Laden, wo der Schwindel am größten sein soll, würde er folgendes kaufen: kapriziöse Fächer aus dünnstem Holz, kleine duftende Holzschachteln mit hübschen eingelegten Verzierungen, die nur durch einen geheimen Fingerdruck zu öffnen sind und kleine Figuren von Menschen und Tieren, die hier für fünfzig Cents zu haben sind und die alle deutschen Kunstgewerbler zusammen nicht so einfach und ausdrucksvoll fertig bringen würden. 9) Ein Volk, das solche Arbeiten zustande bringen kann, darf man, obwohl Hesse es nicht aussprach, nicht verachten. Es war Japan, das ein paar Jahre die deutsche Kolonie in China beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs angriff und besetzt hielt. 8) Augenlust, Aus Indien, S. 26. 9) S. 28.

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien 239 Nach dem japanischen Laden würde Hesse die javanischen und die Tamilgeschäfte besuchen, um Batik, Seide, Spitze und Elfenbeinschnitzereien zu kaufen. Völker, die solche feinen Erzeugnisse herstellen, können nicht einfache Naturvölker sein. Das sind praktische Beispiele, die Hesse selbst aufführt, die nicht zum mitgebrachten Stereotyp passen. Genauso wenig passt die von Hesse beschriebene Religiosität der asiatischen Völker zu Eigenschaften kindlicher Völker. Einerseits gibt Hesse seine vorgefasste europäische und christliche Meinung über andere Religionen zum Besten. Er schreibt, dass diese minderwertig, verdorben, veräußerlicht, verroht seien. Andererseits drückt er im gleichen Atem seine Bewunderung über die echte Religiosität der armen und unterworfenen Völker aus, seien sie Hindus, Mohammedaner oder Buddhisten. Er beneidet sie um das selbstvergessene Gefühl der Zugehörigkeit zu einer ideellen Gemeinschaft und des Kräfteschöpfens aus unversieglich magischer Quelle. 10) Solches Empfinden könnten die Nordeuropäer aufgrund ihres Intellektualismus und Individualismus nur noch selten erleben, etwa beim Anhören einer Backmusik, meint er. Dies schreibt Hesse im Jahre 1911 und später beschreibt er wieder ähnliche Erlebnisse beim Anhören göttlicher Musik im Stepptenwolf (1927). Obwohl Hesses Reiseziel holländisch-indien war, war er nicht von den Niederländern als Kolonialherren beeindruckt, im Gegensatz zu seiner Meinung vom British Empire. In Palaiang weiß er zu berichten, dass das Gebiet erst kürzlich pazifiziert wurde. Wer die niederländische Kolonialherrschaft kennt, vermutet sofort, dass es nicht ohne Gewalt und Blutvergießen ausgeführt werden konnte. Tatsächlich gibt Hesse ein wenig später mehr Einzelheiten. Jetzt sagt er genau, vor drei Jahren wurden es hier noch in wilden schnöden Streifzügen die Ureinwohner niedergeschossen. 11) Es wird 10) Rückreise, Aus Indien, S. 117.

240 Adrian Hsia auch berichtet, dass etwa hundert holländische Soldaten im Städtchen stationiert seien und machten hie und da einen dekorativen Streifzug, um etwaigen rebellischen Einwohnern zu zeigen, dass man da ist und aufpasst 12). Jetzt konnte endlich das kostbare Eisenholz abgebaut werden 13) und Erdöl floss in Eisenröhren nach den Raffinerien der Stadt. Natürlich darf man Kautschuk, Baumwolle, Pfeffer, Kaffee usw. nicht vergessen. Etwas Kulturelles scheint es dort nicht zu geben. In einer einzigen holländischen Buchhandlung in Palembang waren lediglich Übersetzungen der übelsten Kolportageromane aller Sprachen zu haben. 14) Hesse stellt fast ironisch fest, dass der holländische Kolonialbetrieb ein wenig den Eindruck einer kurzsichtigen Ausbeutung der Natives macht. 15) Es ist offensichtlich, dass der Urwald alles andere als paradiesisch war. Dieses alles hatte Hesse bei seiner Reise registriert. Die Widersprüche zwischen stereotypen, durch den Kolonialismus vorgeprägten Meinungen und eigenen Beobachtungen müssen gelöst werden. Es ist ein langjähriger Prozess, ein Teil seiner Menschwerdung. Was Hesse von seiner Indienreise direkt aufgenommen hat, erfahren wir noch einmal in der Erzählung Robert Aghion, in der er sein Erlebnis künstlerisch verarbeitete. Gleich am Anfang der Geschichte lesen wir, dass Europa allerwärts auf Erden entdeckt und erobert hatte und sich nur für Dinge interessierte, mit denen der Welthandel Geld verdient. Zudem hatte Europa eine Menge von erschrockenen Eingeborenen da draußen wie Raubzeug verfolgt und niedergeknallt [und] sich benommen wie der in den Hühnerstall 11) Waldnacht, Aus Indien, S. 72f. 12) Sozieteit, Aus Indien, S. 60. 13) Palaiang, Aus Indien, S. 54f. 14) S. 80. 15) S. 81.

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien 241 eingebrochene Marder. 16) Mit diesen wenigen Sätzen hat Hesse den Hintergrund der Erzählung gezeichnet. Der Protagonist Robert Aghion ist wie Hesse, beiden sind die Schmetterlinge das Allerliebste, und als Missionar fährt Aghion nun nach Indien, um Gottes Wort zu verkünden. Der Ort wird nicht angegeben, er soll irgendwo südlich von Bombay liegen. Sofort gewinnt er die braunen Menschen, das fremde Naturvolk mit den schönen kindlichen Augen lieb, die in kleinen Häuschen aus Lehm oder aus Bambusgestänge gebaut, leben. Doch als er ihre Tempel sieht, muss er zugeben, dass diese tierhaft sanften, halbnackten Menschen eben doch keineswegs ein paradiesisches Naturvolk waren, sondern seit einigen tausend Jahren schon Gedanken und Götter, Künste und Religion besaßen. 17) Robert Aghions Erkenntnisse werden neben Mr. Bradleys Kolonialurteile gestellt, für den die Inder ein schweinisches Pack von Bettlern und Unholden sind. Dieser Mr. Bradley ist britischer Kaufmann, der regelmäßig Ohrfeigen und Fußtritte an seine männlichen Diener verteilt, die jungen weiblichen Dienerinnen aber beschläft er. Er warnt Aghion, sich von den Hindus in Acht zu nehmen, sonst würde er bestohlen. Dies geschieht nun tatsächlich. Dennoch empfindet Aghion die Inder als ein frommes Volk. Außerdem leben sie, trotz der Vielfalt der Religionen, 18) vergnügt nebeneinander hin, ohne dass es den Anhängern des einen Glaubens einfiel, die anderen zu hassen oder totzuschlagen, wie es daheim in den Christenländern Sitte war. 19) Er ist so sehr beeindruckt, dass er sich zu 16) Robert Aghion, Blick nach dem Fernen Osten, S. 223. 17) Blick, S. 232. 18) Es ist das erste Zeichen, dass nicht von dem Subkontinent handelt, wo Hinduismus und Islam vorherrschen. 19) Blick, S. 239.

242 Adrian Hsia schämen beginnt, Schmetterlinge und Käfer zu töten, nur um sie aufzuspießen. Ihm kommt es auch als eine ungeheuerlich Frechheit und Überhebung vor, den Hindus ihren Gott und Glauben zu nehmen und einen anderen dafür aufnötigen zu wollen. Dies erinnert an den Vorwurf Schopenhauers den englischen Missionaren gegenüber, dass diese den Hindus, die eine ältere und tiefsinnigere Religion hätten, zu einer jüngeren und seichteren bekehren zu wollen. Dazu kommt Robert Aghion nicht. Denn sein Traum hat ihn davon abgehalten. In diesem Traum predigt er tatsächlich zu den Hindus vor einer christlichen Kirche. Er versucht sie zu überzeugen, dass der wahre Gott nicht eine Fratze mit vielen Armen und Rüsseln haben kann. In diesem Moment nimmt er wahr, dass der Gottvater jetzt drei Köpfe und sechs Arme bekommen hat. Er sieht auch, dass dieser neue Gottvater und die Hindu-Götter sich gegenseitig Besuche abstatten. Im Hindu Tempel nimmt der Gottvater Huldigung der Brahmanen entgegen, während die Hindu-Götter ihre Anhänger in die christliche Kirche herüberbringen. Robert Aghion ist sich bewusst, dass er nicht Missionar bleiben kann. Er findet eine Arbeit als Vorsteher einer Kaffeeplantage. 20) Die Erzählung endet aber eigenartig. Weil Robert Aghion Mr. Bradley mit einer Dienerin im Bett gefunden hat, macht er diesem Vorwürfe. Erbost fordert der Kaufmann Aghion auf, sich eine eigene Bleibe zu suchen. Um diese Zeit hat sich der Missionar in eine junge Inderin verliebt. Hesse erzählt, dass in Indien die Sitte herrscht, dass Frauen der niederen Stände mit freiem Oberkörper ihren Geschäften nachgehen. Robert Aghion hat nun die junge Frau gesehen und kann ihrem Charme nicht widerstehen. Darauf hin findet eine Diskussion zwischen Robert Aghion und Mr. Bradley zum Thema 20) Dies ist ebenfalls ein Anzeichen, dass der Ort wahrscheinlich nicht indisch ist, wo die Engländer meistens Tee anbauten.

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien 243 Heirat statt. Der letztere meint, er würde lieber einen Finger abreißen, als eine Farbige heiraten, denn er kann sie nur als eine Art Tierchen ansehen, nicht aber wie seinesgleichen. Robert Aghion entgegnet, dass die Inder ein altes Volk seien. Er würde sich mit seiner Schönen verloben und sie dann christlich erziehen, bis sie christlich getauft werden könne. Dann würden sie sich in der englischen Kirche trauen lassen. Der Ausgang der Erzählung zeigt die Grenze der Menschwerdung Hesses um diese Zeit, er kann selbst nicht vollständig Mensch sein, solange er die Menschheit nicht gleichwertig ansieht. Er lässt zwar Robert Aghion den Missionarberuf aufgeben, aber ihn doch darauf bestehen, dass die Inderin getauft werden muss, um dann als Christin mit ihm in die Ehe einzugehen. Dabei hat er sie noch nicht einmal gefragt, ob es ihr recht ist. Robert Aghion ist zwar nicht mehr Missionar, aber er wird, als Vorsteher einer englischen Kaffeeplantage, Kolonialverwalter und dadurch eine Art Kollege des Mr. Bradley. Der Unterschied ist, dass Robert Aghion eine Inderin, die er eigens für eine christliche Ehe taufen lässt, heiratet, während der andere die indischen Frauen einfach als Sexualobjekt benutzt, sie sonst aber wie lustige Ziegen oder schöne Rehe 21) ansieht. Beide werden Kollegen des britischen Kolonialinteresses und, die Erzählung deutet an, künftige Freunde. Dass Hesse diese Erzählung in Indien stattfinden lässt, ist sehr eigenartig. Nicht nur weil wir wissen, dass er nie den indischen Subkontinent betreten hat, sondern weil die Erzählung nichts einzigartig Indisches aufweist. Die Geschichte hätte sich irgendwo in Hinterindien abspielen können, einschließlich der beschriebenen indischen Tempel, zumal es nicht bekannt ist, dass die Inderinnen der unteren Klassen sich tatsächlich ohne Sari unter die Menschen begeben würden. Dagegen wäre so eine Sitte im Urwald nichts Besonders. 21) Blick, S. 253.

244 Adrian Hsia Aber Hesse hatte das Bedürfnis, doch etwas Indisches, sei es als Fiktion, zu veröffentlichen. Andererseits war er noch nicht so weit, die Inder menschlich bzw. kulturell als seinesgleichen zu akzeptieren. Die Hindus blieben ein Naturvolk, daher soll Robert Aghions Braut zuerst getauft werden. Alles deutet daraufhin, dass Hesse das christliche Europäertum noch als überlegend empfand. Dies ist vielleicht nicht so überraschend, wenn wir sehen, was Hesse, der Dichter des späteren Siddhartha, einer indischen Dichtung, zur selben Zeit im Tagebuchblatt aus Kandy über den Buddhismus schreibt: Ich hatte keinerlei Achtung von den miserablen Priestern, ich verachtete die Bilder und Schreine, das lächerliche Gold und Elfenbein, das Sandelholz und Silber, aber ich fühlte tief und mitleidend mit den guten sanften indischen Völkern, die hier in Jahrhunderten eine herrlich reine Lehre zur Fratze gemacht und dafür einen Riesenbau von hilfloser Gläubigkeit, von töricht herzlichen Gebeten und Opfern, von irrender Menschentorheit und Kindlichkeit errichtet haben was tun dagegen wir klugen und geistigen Leute aus dem Westen, die wir dem Quell von Buddhas und von jeder Erkenntnis viel näher sind? 22) Trotz des ironischen Tons der rhetorischen Frage verdeutlicht die Sprache das Empfinden, dass das Europäische überlegender ist. Dieses immer wiederkehrende Überlegenheitsgefühl lässt sich nicht einfach unterdrücken, sondern will, wie immer bei Hesse, ausgelebt werden. Als er 1914 seine Reiseerlebnisse zusammenfasste, war er in der Menschwerdung schon einen Schritt weiter. Zwar blieben die Asiaten, mit Ausnahme der Chinesen, immer noch Naturvölker, aber Europa wurde, trotz seiner Stärke an Vernunft und Technik, nun eine Schwäche zuerkannt: Primitiv und jedem Zufall preisgegeben scheint das Seelenleben des Abendländers, 23) stellt Hesse nun 22) Aus Indien, S. 104f. 23) Blick, S. 379.

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien 245 fest. Damit gleichen sich Stärke und Schwäche mehr aus, folglich rücken sich Europa und Asien in der Wertschätzung Hesses näher. Erst der Krieg in Europa brachte Hesse die Erkenntnis, dass Europäer nicht unbedingt vernünftig sind und Technik ein gemischter Segen ist, was die Erzählung Der Europäer (1918) verdeutlicht. Diese Erzählung gehört zu den Antikriegsprodukten Hesses während des Ersten Weltkriegs; sie ist die einzige Betrachtung, in die Hesse seine asiatischen Erlebnisse weiterhin verarbeitet hat. Die Handlung ist schlicht. Der blutige europäische Krieg hat Gott veranlasst, noch einmal die Sintflut und Noah auf die Erde zu schicken. Während das Wasser steigt, bauen die Europäer zuerst Dämme, für die sie Millionen von Kriegsgefangenen Tag und Nacht einsetzen. Damit ist die Flut natürlich nicht zu halten, so dass einzelne Flecken immer höher aufgeschichtet werden. Diese werden immer kleiner, bis sie turmartig aussehen. Dann werden darauf Eisentürme gebaut. Während dieser Zeit wird weiter auf Leben und Tod gekämpft. Hesse beschreibt: Während Europa und alle Welt versunken und ersoffen war, gleißten von den letzten ragenden Eisentürmen noch immer grell und unbeirrt die Scheinwerfer durch die feuchte Dämmerung der untergehenden Erde, und aus den Geschützen sausten in eleganten Bogen die Granaten hin und her. So wurde heldenhaft geschossen bis zur letzten Stunde. 24) Vom Krieg und der Sintflut überlebt in Europa nur ein einziger namenloser Mann. Bevor er von Noah in die Arche aufgefischt wird, ist er mit seinen letzten Kräften damit beschäftigt, die Ereignisse der letzten Tage aufzuschreiben, damit eine spätere Menschheit wisse, dass sein Vaterland es 24) Hermann Hesse, Der Europäer, Gesammelten Schriften, Band 7. Frankfurt: Suhrkamp, 1968, S. 105.

246 Adrian Hsia gewesen war, das den Untergang der letzten Feinde um Stunden überdauert und sich so für ewig die Siegespalme gesichert hatte. 25) Dieser Europäer, dessen Gattung Hesse noch bei seiner Indienreise als die Menschen der Vernunft und Technik beschreibt, wird jetzt aus einer anderen Perspektive betrachtet. Denn es ist die Technik, die die Erde verwüstet und Gott veranlasst hat, die Sintflut zu senden. Auf der Arche hat Noah von allen Lebenden je ein männliches und weibliches Wesen gerettet. Nur der Europäer ist allein. Dies wird als der Wille Gottes erklärt. Denn die Gattung der Europäer soll nicht mehr auf der gleichen Weise wie früher fortgepflanzt werden, sondern er muss ein Teil der Menschheit werden. Diese wird aus den Völkern Asiens, Amerikas und Afrikas bestehen, die Völker, die aus der europäischen Perspektive als Naturvölker bezeichnet werden. Die Chinesen befinden sich ebenfalls darunter, denn Hesses Begriff der Naturvölker scheint ein anderer geworden zu sein. Sie werden nicht mehr als unmündlich beschrieben, sondern vielmehr als naturverbunden angesehen. Im Gegensatz zum letzten Europäer sind sie vorzüglich geeignet, die Erde erneut zu bevölkern. Der Maßstab hat sich geändert, das Europäische gilt nicht mehr automatisch als überlegen. Vielmehr hat es der Erde und der Menschheit Unheil gebracht. 1914 hat Hesse noch festgestellt, der Westen atme Vernunft und Technik. 26) Es stellt sich die Frage, wie die Vernunft die Selbstzerstörung der Menschheit durch die Technik zulassen kann. Zwar bleibt der letzte Europäer in der Erzählung anscheinend unverbesserlich, sogar auf der Arche denkt er daran, dass man mit ein bisschen Dynamit besser schiessen kann als mit 25) Der Europäer, S. 105. 26) Blick, S. 379.

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien 247 Pfeil und Bogen, doch in seinem Selbstverständnis wird das Wort Vernunft nicht mehr gebraucht. Von den anderen auf der Arche aufgefordert, seine Gabe zu beschreiben, benutzt er Begriffe wie Intellekt und Verstand. Über dessen praktische Ausführung erklärt er wie folgt: Meine Gabe und Eigenart ist diese: ich speichere in meinem Kopf die Bilder der Außenwelt auf und vermag aus diesen Bildern ganz allein neue Bilder und Ordnungen herzustellen. Ich kann die ganze Welt in meinem Gehirn denken, also neu schaffen. 27) Als diese Erklärung, die das elektronische Gehirn vorausahnt, auf Unverständnis stößt, erklärt er weiter, dass sein Verstand nur dafür geeignet sei, große Aufgaben zu lösen, auf denen das Glück der Menschheit beruhe. Dennoch kann er nicht erklären, wie dieses Glück zustande zu bringen wäre, sondern er sagt nur, viele Geschlechter müssten darüber brüten. Darauf hin haben ihn die anderen Passagiere der Arche zum Spaßmacher erklärt. Für den Leser ist er mehr als nur ein Spaßmacher; die Ironie, dass Europa auf dem Streben nach dem Glück der Menschheit mehr oder weniger die Welt zugrunde gerichtet hat, bleibt ihm nicht verborgen. Die Perspektive und infolge dessen die Wertschätzung Hesses hat sich seit seiner Indienreise grundsätzlich geändert. Durch den Krieg ist es ihm klar geworden, dass der Mangel an Religiosität, der er auf seiner Asienreise jeden Tag begegnet, in Europa dazu geführt hat, dass die Vernunft durch den Verstand bzw. Intellekt ersetzt wird, was zum Utilitarismus führt. Dadurch wird die Technik Selbstzweck, was potenziell zur Katastrophe hinleitet. Die europäische Überlegenheit von der Zeit der Indienreise wird nun vollkommen relativiert. Hermann Hesse ist nun zuvorderst nicht mehr nur Europäer, sondern 27) Gesammelte Schriften, Band 7, S. 109.

248 Adrian Hsia Mensch geworden, er ist soweit, eine Menschheitsdichtung zu schreiben. Im Dezember 1919 begann er mit der Niederschrift des ersten Teils von Siddhartha, einer indischen Dichtung. Damit hat Hesse stellvertretend durch Indien die asiatischen Völker seiner Indienreise und darüber hinaus rehabilitiert. Die Popularität dieses Romans erklärt sich vielleicht dadurch, dass sich Menschen aller Kulturen darin widergespiegelt finden können. Es hat sich gezeigt, dass Asien weder so weit, noch so fremd ist. Es ist das erste Gelingen der Menschwerdung bei Hesse. Die Asienreise hat Hesse nicht nur die asiatischen Völker und Kulturen näher gebracht, sondern er hat auch angefangen, Europa im Zusammenhang mit Asien zu sehen. Diese neue Perspektive war sicherlich für seine Menschwerdung förderlich, dass er nun Asiaten als gleichwertige bzw. vergleichbare Menschen anerkennt. Aber der Krieg hat ihn vielleicht zu sehr enttäuscht, so dass er wieder zu einem neuen Europa-Verständnis kommen musste. Dies scheint er durch seine nächsten Romane Steppenwolf (1927) und Narziss und Goldmund (1930) vollzogen zu haben. Da er sich sowohl das moderne und das mittelalterliche Europa wieder angeeignet hat, war er bereit, sich auf eine zweite Reise zu begeben, diesmal allerdings nur dichterisch. Seine Morgenlandfahrt (1932) legt davon Zeugnis ab. Dass diese gedichtete Reise ihn nicht zu dem wirklichen Morgenland führt, ist ein Anzeichen dafür, dass er es bereits verinnerlicht hat. Seine Reise führt ihn diesmal wirklich zu sich selbst und zur Kultur, die ihn unmittelbar umgibt, ohne auf die Menschheit zu verzichten. Verglichen mit der Indienreise befindet sich die Morgenlandfahrt auf einer höheren, ideellen Ebene. Dies bereitet ihn auf das nächste Bekenntnis zur Menschheit vor, zum Glasperlenspiel (1943), das nicht wie Siddhartha nach der erschütternden europäischen Krise geschrieben wurde, sondern noch während der Krise. Die Altersdichtung Hesses zeigt, dass er sich sogar inmitten der größten Krise Europas zum Menschsein und

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien 249 zur Menschlichkeit bekennt. Er hat sich im Laufe seines Lebens zum Menschen gemacht, während seine Figuren wie Siddhartha und Josef Knecht oder auch Lessings Nathan nur zum Dichtungsreich gehören.

250 Adrian Hsia Bibliographie Hesse, Hermann: Blick nach dem Fernen Osten, Frankfurt: Suhrkamp, 2002. : Der Europäer, Gesammelten Schriften, Band 7. Frankfurt: Suhrkamp. Freedman, Ralph: Hermann Hesse. Biographie. Frankfurt: Suhrkamp, 1999.

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien 251 < 국문초록 > 헤르만헤세와 ( 그리낯설지않은 ) 아시아 - 작가의인간화에대해 아드리안시아 ( 몬트리올대학 ) 독일의계몽주의는레싱의현자나탄이스스로에게우선인간이냐유대인이냐고자문했을때그정점에도달했다고할수있다. 이것이바로인류의개념으로바라본세계화의첫번째긍정적인예가되기때문이다. 그럼에도세가지종교및인종이모두성서에기반한일신교의종파에귀속된것은다소애석한일이다. 그런데이것을의식적이고도광범위하게통합하려는노력을헤세에게서찾아볼수있다. 특히후기의헤세는싯다르타, 유리알유희와같이인류의이상에찬작품들을남겼다. 여기서는일신교 ( 서구적인것이라하자 ) 문화와비일신교의문화 ( 인도와중국이대표적이다 ) 를통합시키는가운데인류의통일이시도된다. 헤세의동양사상에대해서는많은연구가이루어진반면, 그가아시아인을처음만난데대해서는별로연구된바가없다. 근간된극동을향한눈길 (2002) 을계기로이를짚어볼필요가있다. 그런데극동은대개동아시아를칭하는데, 이책의절반은인도와동남아시아를다루고있어제목부터논의될필요가있다. 아시아인과의만남에대해기록한인도여행 (1913) 에서도작가가인도반도에는발을들여놓은적이없으므로사정은비슷하다. 인도차이나란표현이한번나오긴하지만, 헤세는이곳을인도라고여겼다. 여행의목적지는수마트라였는데, 헤세가계획한것은문화적인의미에서라기보다는일차적으로원시림, 즉유럽의문화적불만족이나슈바벤에서의삶과는다른극단적인것을체험하는여행이었다. 수마트라는오늘날인도네시아에속하지만, 그당시는네덜란드령인도로알려져있어헤세도이용어

252 Adrian Hsia 를그렇게사용하고있다. 그런의미에서인도여행은맞는표현이다. 하지만그곳에서헤세가관심을가진것은인도도, 중국도아닌, 원시림, 즉원초적인자연이었다. 유럽을떠나긴했지만그는여전히유럽문화권의영향에서벗어나지못한채유럽인으로서식민지로여행한것이다. 그러므로헤세는유럽인의전형적인선입견을갖고인도인과인도문화를대했다. 헤세는인도인에대해서선입견을갖고있었고말레이인과수마트라원주민을훨씬저열한민족으로보았지만, 유독중국인에대해서는좋은인상을갖고있었다. 인도로여행할때까지헤세는아시아에대해별로아는바가없었다. 인도와그문화에대해부모로부터영향을받아평균이상의지식을갖고는있었으나, 그것도그리많은것도, 수준이높은편도아니었다. 인도에관한직접적인지식은인도와중국의사상을받아들인첫독일철학자인쇼펜하우어를통해서이루어진것처럼보인다. 1907년헤세는쇼펜하우어의영향으로요가와고행, 금욕생활을실험하기시작했다. 산스크리트개념인 네가그것이다 tat twam asi 를수용한헤세는그러므로거부감이들긴했지만자신의여행기에아시아인에대해긍정적인면을말하려한다. 헤세가유독중국인이게호의적이었던이유로는우선그의독서경험을들수있다. 여행전에헤세는공자의논어, 노자의도덕경, 그리고마르틴부버가독일어로옮긴장자의어록과비유를읽었기때문이다. 부버는타문화의사람들을선입견없이대할것을동시대인들에게요구했다. 쇼펜하우어나부버가공통적으로주장한것은비기독교인도기독교인처럼대하라는것이다. 헤세는인도를여행하는동안중국인들에대해이것을실천에옮겼다. 그런데중국인을동등한가치를지닌사람들로, 심지어경쟁자로인식한반면, 다른아시아민족들은식민지통치자의시선으로바라보았다. 헤세의이러한태도는유럽전체가관여한식민주의와관련해서봐야한다. 왜냐하면근대식민주의를드러낸대륙발견의시대이후로기독교에기반한, 유럽중심적이고, 주요한피부색을유지하려는인종이론이생겨나 19세기후반에정점에달했기때문이다. 헤세가일찍이중국인을열등하게여겼는지는알려지지않았지만, 인도인을포함한다른아시아인들은 미개인 으로여겼다. 인도

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien 253 를여행할무렵헤세는이렇듯인식의중간단계에있었다. 그의 인간화과정 은완전한가치를지닌인간으로누구를인정하는지와도관련을맺는데, 이러한인간화과정은싯다르타에서우선정점에다다른다. 관찰력이뛰어난여행자로서헤세는여러민족간의서열을파악했고식민지통치자인영국인을존중했다. 유럽인의시각으로헤세는대부분의아시아민족들을미개인이라여겼지만, 섬세한수공업의능력을지닌그들은그의선입견과맞지않는부분이있었다. 또헤세는다른종교들에대해자신이갖고있던유럽의기독교적인견해를피력하는한편, 다른한편으로는 지배받는가련한민족들 의참된신앙심에, 특히 고갈되지않는신비한원천으로부터흘러나오는창조력과이상적공동체에대한무아적인소속감에 놀라움을표시했다. 그런감정은지성주의와개인주의에기반한북유럽사람들에게는찾아보기힘든것이었다. 특히헤세는식민지통치가근시안적으로원주민을착취하고문화를훼손시킨다는인상을받았다. 그러므로그가보고자했던원시림은파라다이스와는거리가먼것이었다. 이모든것을헤세는여행하는동안기록했다. 식민주의로각인된상투적인견해들과자신이관찰한바사이의모순들이해소되어야했다. 그것은오랜세월을거쳐야할과정이자헤세의인간화의일부였다. 인도여행의체험이녹아들어간로버트아기온 (1912) 은식민지화과정에서유럽에의해침탈당하는모습을배경으로삼고있다. 선교사로인도에온아기온은인도인을멸시하고학대하는영국상인브래들리씨와달리원주민의심오한예술, 종교, 사상에감화를받는다. 특히아기온은종교의다양성에탄복하여힌두교와기독교가서로공존할수있음을깨닫는다. 그래서더이상선교사로일하지않고커피농장의감독관으로일하게된다. 그런데결말을보면, 인도여성을사랑하게된아기온이그녀를기독교식으로교육하고개종시켜결혼하려는것으로되어있다. 이러한결말은이시기헤세의인간화가갖는한계를보여준다. 인간을동등하게받아들이지않는한, 완전한인간이될수없기때문이다. 아기온이선교사의일을포기하기는하지만, 결혼을위해사랑하는인도여성에게기독교로개종할것을강요한것이나, 결국영국커피농장의감독관

254 Adrian Hsia 으로일하게되어영국식민지의이해에일조하게된것은이러한한계를잘보여준다. 신부의개종에서알수있는것처럼헤세는인도인을인간적으로나문화적으로자신과동등한사람들로받아들이는데까지나아가지못하고, 유럽의기독교문화를우월한것으로여기고있었다. 하지만 1914년, 여행의체험을정리할때, 그의인간화는이미진일보했다. 사실중국인을제외한아시아인들이여전히미개인이긴하지만, 이성과기술에서강한유럽이영혼의삶에서는원시적이라는단점을인식한것이다. 이로써장단점이서로상쇄되면서유럽과아시아는헤세의가치평가에있어서서로가까워질수있다. 유럽에서전쟁이발발하자비로소헤세는유럽인이반드시이성적이지않음을, 기술이순전히축복만은아님을인식하게되는데, 이는유럽인 (1918) 에잘나타나있다. 이책은제 1차세계대전동안에씌어진반전소설이자아시아에서의체험이반영된작품이다. 유럽에휘몰아친피의전쟁으로신은다시한번노아의홍수와방주를가져오고, 각생물체마다한쌍의남녀가생존하지만, 유럽에서는무명의남성만이살아남는다. 유럽남성이홀로남은이유는유럽인이이전과는다르게, 인류의일부가되어야한다는신의의지때문이었다. 이제인류는유럽의시각에서미개인으로간주되었던여러민족으로구성되었고, 중국인도여기에속했다. 여기서헤세의미개인개념이더이상미성숙한민족이아니라, 자연과관련을맺는민족으로그의미가변화된것을볼수있다. 유럽인이우월하기는커녕인류에재앙을가져온장본인으로간주되었다. 유럽남성이여전히이성과기술에의존하고있지만이것이곧인류의행복으로직결되지않음을작품에서는반어적으로보여준다. 인도여행후헤세의시각과가치평가가근본적으로달라졌다면, 전쟁을통해헤세는경건성이결여된유럽에서결국이성이지성으로대체되어실리주의를낳게되었음을인식하게되었다. 인도를여행할시기에가졌던유럽의우월성은이렇게해서완전히상대화되었다. 이제헤세는유럽인을넘어인간이되었고, 이것은그에게인류를위한문학작품을쓸수있게해주었다. 1919년 12월헤세는싯다르타를집필하기시작했고여기서아시아는그렇

Hermann Hesse und (das nicht so fremde) Asien 255 게멀지도, 낯설지도않은곳이었다. 헤세의인간화가처음으로결실을맺게된것이다. 아시아여행을통해헤세는아시아민족과문화를알게되었을뿐만아니라유럽을아시아와관련해서보기시작했다. 이새로운시각은그가아시아인들을동등한인간으로인정하는인간화과정에서필요한것이다. 하지만전쟁으로인한실망감이너무큰나머지유럽에대한새로운이해가필요했다. 이것은그다음작품황야의이리 (1927) 나나르치스와골드문트 (1930) 에반영되었다. 유럽에다시적응했던헤세는이번에는실제가아닌, 문학으로이루어진두번째여행채비를했고, 동방순례 (1932) 가그증거물이다. 이여행에서실제동양의나라로떠나지않은것은그가이미그것을내면화했음을말한다. 인도여행과비교해볼때, 이것은보다높은정신적인차원에서이루어지는여행이다. 그것은인류에대한그다음의고백유리알유희로결실을맺는다. 헤세의후기작은유럽최대위기의와중에도인간됨과인간화를고백하고있다. 싯다르타나요셉크네히트와같은인물들, 그리고레싱의나탄도결국엔단지문학의왕국에속하고마는데비해, 그는일생동안자신의인간화를위해노력했던것이다. 주제어 : 일신교문화와비인신교문화, 인간화과정, 인도여행, 아시아, 식민주의 Schlüsselbegriffe: theistische und nicht theistische Kulturen, Menschwerdung, Indienreise, Asien, Kolonialismus 필자 E-Mail: adrianhsia@yahoo.de 논문투고일 : 2007. 9. 30, 논문심사일 : 2007. 10. 18, 게재확정일 : 2007. 10. 30.